Der Tagesspiegel 21.03.2018
Pflanzenschutz in der Landwirtschaft
Am Donnerstag treffen sich die EU-Mitgliedstaaten, um ein Verbot für das weltweit am häufigsten verwendete Pestizid zu diskutieren. Es ist die Gelegenheit, um unser ganzes Ernährungssystem zu überdenken. Ein Aufruf aus der Wissenschaft.
Dave Goulson
Die Beweise nehmen zu, dass der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft das Bienensterben befördert.Foto: Patrick Pleul/picture alliance
Menschen brauchen Bienen. Ohne die Arbeit von heimischen Honigbienen, Wildbienen und anderen Bestäubern würde fast ein Drittel unserer Lebensmittel verschwinden. Die Bedeutung dieser Insekten für natürliche Ökosysteme und unser eigenes Überleben kann nicht überschätzt werden. Viele Regierungen behaupten, dass die Standards für den Schutz unserer Bestäuber hoch genug sind. Aber als Wissenschaftler haben wir Jahrzehnte damit verbracht, das zerbrechliche Zusammenspiel von Insekten, der Umwelt und den Pflanzen, die wir zum Überleben brauchen, zu untersuchen. Und wir sind anderer Ansicht.
Zahlreiche wilde Bestäuber gibt es immer seltener und einige Arten sind heute weltweit ausgestorben. Die Ursachen für diese Rückgänge sind komplex und schließen auch den Verlust von Lebensräumen und die Ausbreitung nicht einheimischer Krankheiten mit ein. Doch es stellt sich zunehmend heraus, dass die Belastung durch Pestizide wahrscheinlich einen wesentlichen Beitrag dazu beiträgt. Insbesondere deutet eine immer größer werdende Anzahl von Forschungsarbeiten zu Neonicotinoid-Insektiziden darauf hin, dass diese eine Reihe schädlicher Wirkungen auf Bienen haben: Sie töten diese direkt, beeinträchtigen ihre Navigation, verringern ihre Fruchtbarkeit und unterdrücken ihr Immunsystem.
Pesitzid-Verbot hat keine messbaren Auswirkungen auf Ernteerträge
Aufgrund der zunehmenden Beweise, die Neonicotinoide mit dem Rückgang von Bienen in Verbindung bringen, hatte die Europäische Kommission 2012 eine Überprüfung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in Auftrag gegeben. Diese wurde im Januar 2013 veröffentlicht und kam zu dem Schluss, dass die drei am häufigsten verwendeten Neonicotinoide (Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin) ein “unannehmbares Risiko” für Bienen darstellen. Daher schlug die Europäische Kommission ein Verbot für die Verwendung dieser drei Stoffe bei blühenden Pflanzen, die von Bienen besucht werden, vor. Trotz heftiger Lobbyarbeit der Pestizidindustrie, die große Ernteverluste voraussagte, trat dieses Teilverbot im Dezember 2013 in Kraft. Auf europäischer Ebene scheint das Verbot keine messbaren Auswirkungen auf die Ernteerträge gehabt zu haben.
Seither häufen sich weitere Beweise für das Risiko, das diese Pestizide für Bienen darstellen. Ein neuer, belastender Bericht der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (European Food Safety Agency, EFSA) hat gerade noch einmal bestätigt, dass fast alle derzeitigen Anwendungen von Neonicotinoid-Insektiziden ernsthafte Risiken für Bienen darstellen.
Pestizide richten nachhaltig Schäden an und kontaminieren Folgekulturen
Zwei Jahre lang wurden mehr als 1.500 Studien aus der ganzen Welt untersucht. Und eine detaillierten Auswertung von 588 wissenschaftlichen Experimenten aus der wissenschaftlichen Literatur wurde mit einem breiteren Rahmen durchgeführt. Dann wurden im vergangenen Monat die Resultate veröffentlicht, die den Schaden durch Neonicotinoide sowohl bei wilden als auch bei domestizierten Bienen bestätigten. Diese Erkenntnisse stehen im Einklang mit einer Reihe anderer Studien zu diesem Thema, die im letzten Jahr von unabhängigen Wissenschaftlern veröffentlicht wurden, sowie dem im 2015 erschienenen Bericht des “European Academy of Science Advisory Council” – einem Zusammenschluss nationaler Wissenschaftsakademien von Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Es ist klar geworden, dass Neonicotinoide nicht nur dann ein Risiko für Bienen darstellen, wenn diese an blühenden Pflanzen verwendet werden; sie bleiben lange nachdem die behandelte Pflanze verschwunden ist im Boden und kontaminieren Folgekulturen sowie Wildblumen an den Feldrändern.
Neue Chemikalien bringen neue Probleme
Dieser Bericht bestärkt sicherlich die Notwendigkeit weiterer Restriktionen für den Einsatz von Neonicotinoiden in ganz Europa – und darüber hinaus. Die EU-Mitgliedstaaten, die USA und Kanada, die alle den Umgang mit diesen Pestiziden überdenken, stehen nun in der Verantwortung, diese Chemikalien weiter einzuschränken. Außerdem würden wir argumentieren, dass auch ein grundlegendes Umdenken in der Landwirtschaft notwendig ist. Seit 60 Jahren fahren wir auf einem Pestizid-Karussell: Aufeinanderfolgende Generationen von Pestiziden werden herausgegeben – und ein oder zwei Jahrzehnte später wieder verboten, wenn der von ihnen verursachte Umweltschaden deutlich wird. Jedes Mal werden die Pestizide dann durch neue ersetzt, und jede neue Gruppe von Chemikalien bringt wiederum neue und unerwartete Probleme mit sich. In Anbetracht unserer Intelligenz ist es bemerkenswert, dass wir Menschen immer wieder den gleichen Fehler machen.
Unterzeichner: Prof. Dave Goulson, School of Life Sciences, University of Sussex, Prof. Dr. Randolf Menzel, Department Biologie, Freie Universität Berlin, Dr. Cristina Botías, Departamento de Ecología Integrativa, Estación Biológica de Doñana, Dr. Christopher N Connolly, Associate Director of CECHR, School of Medicine, University of Dundee, Prof. Dr. J. Wolfgang Wägele, Director, Zoologisches Forschungsmuseum, Alexander König, Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere, Jeroen P. van der Sluijs, Copernicus Institute for Sustainable Development, Utrecht University and University of Bergen, Prof. Hans de Kroon, Professor of Plant Ecology and Director Institute for Water and Wetland Research, Radboud University Nijmegen, Prof. Rien Aerst, Vrije Universiteit Amsterdam, Frank Berendse, hoogleraar natuurbeheer en plantenecologie Wageningen University, Prof. Dr. Paul Struik, hoogleraar Gewasfysiologie, Wageningen University
Heike Jahberg
Hannes Soltau