von Roland Knauer
Die wild lebenden Insekten sind beim Bestäuben von Blüten viel effektiver als Honigbienen. Doch ihre Zahl nimmt ab. Das gefährdet die Nahrungsmittelproduktion.
In vielen Ländern sorgen sich Imker und Landwirte um das Wohl von Honigbienen: Je weniger Völker für das Bestäuben von Blüten vorhanden sind, umso geringer ist der Honigertrag, vor allem aber die Ernte von Obst, Ölpflanzen und Nüssen. Die Rolle der Wildbienen, die ebenfalls Blüten aufsuchen, wurde als eher klein eingeschätzt – ein Trugschluss. Sie sind beim Bestäuben wesentlich effektiver als Honigbienen, bezogen auf ein einzelnes Insekt können die Wildtiere bis zu doppelt so viele Blüten befruchten wie die Bienen, die von Imkern in Plantagen geschafft werden. Das geht aus einer großen Untersuchung hervor, die 50 internationale Forscher um Lucas Garibaldi von der Universidad Nacional de Rio Negro im argentinischen Bariloche im Fachjournal „Science“ veröffentlicht haben.
Dass bei vielen Pflanzensorten die Erträge maßgeblich durch Insekten beeinflusst werden, ist bekannt. „Der Anbau von Mandeln in Kalifornien gilt als klassisches Beispiel für die entscheidende Rolle dieser Tiere als Bestäuber“, sagt der Agrarökologe Josef Settele vom Umweltforschungszentrum Halle (UFZ). Er hat gemeinsam mit Kollegen aus Frankreich für das Jahr 2005 – konservativ – geschätzt, dass Insekten weltweit eine Wirtschaftsleistung von 153 Milliarden Euro bringen. „Bisher wussten wir nicht, welche Insekten vor allem für gute Ernten sorgen“, nennt Settele den Hintergrund der aktuellen Studie, an der er selbst jedoch nicht beteiligt ist.
Die Forscher um Garibaldi haben für 41 landwirtschaftliche Kulturen auf 600 Versuchsflächen in Europa, Afrika, Asien, Ozeanien, Süd- und Nordamerika den Beitrag von Wildinsekten genauer angeschaut. „Unsere Untersuchung zeigt, dass die Erträge zahlreicher Pflanzen wie Tomaten, Kaffee und Wassermelonen dadurch begrenzt werden, weil es nicht genügend Bestäuber gibt“, sagt Lawrence Harder von der Universität Calgary. In vielen Fällen hätten er und seine Kollegen herausgefunden, dass es nichts nützt, mehr Honigbienen auf diese Flächen zu lassen. „Eine größere Zahl von Wildinsekten hingegen würde helfen.“
Zu diesen zählen etwa Fliegen, Schmetterlinge und Käfer. Eine tragende Rolle spielen aber Wildbienen, von denen es allein in Mitteleuropa mehr als 500 Arten gibt, weltweit sogar rund 30 000. Wenn Wildbienen eine Kultur besuchen, werden dort rund doppelt so viele Blüten befruchtet wie beim Besuch von Honigbienen, fanden die Forscher heraus. Sie vermuten, dass Wildbienen nicht mehr Pollen transportieren, dafür jedoch qualitativ bessere. „Es könnte riskant sein, ausschließlich auf Honigbienen als Bestäuber zu setzen“, schreibt Jason Tylianakis von der Universität von Canterbury in Christchurch in einem Kommentar.
Wie wichtig Wildinsekten sind, zeigt eine weitere Untersuchung, die jetzt ebenfalls in „Science“ erschienen ist. Laura Burkle von der Washington-Universität in St. Louis und ihre Kollegen haben das Zusammenspiel zwischen Insektenbestand und Blütenpflanzen in einer Region des US-Bundesstaates Illinois analysiert. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist dort die Hälfte der Wildbienenarten verschwunden. Infolgedessen werden immer weniger Blüten befruchtet, berichtet das Team.
Dieser Effekt wird verstärkt durch Klimaänderungen, die dazu führen, dass Blütezeiten nicht mit den Hauptflugzeiten der Insekten zusammenfallen. „Das Netzwerk von Pflanzen und Tieren konnte in den vergangenen 120 Jahren die Störungen einigermaßen ausgleichen“, schreiben die Wissenschaftler. „Unsere Daten lassen aber vermuten, dass es künftigen Veränderungen nicht mehr so gut begegnen kann.“
- Dokumentarfilm: Die tollkühnen Brummer mit ihren schwarz-gelben Streifen
- Biologie: Blüten locken auch elektrisch
- Woher unsere Lebensmittel kommen: Drin, was nicht draufsteht
Ähnliche Beobachtungen machen Forscher fast überall auf der Welt: Aus der zunehmend intensiver bewirtschafteten Agrarlandschaft verschwinden Wildbienen in hohem Tempo. „Eine große Artenvielfalt ist für die Landwirtschaft aber immens wichtig“, fasst Tylianakis die Ergebnisse beider Studien zusammen. Fallen die summenden Bestäuber aus, müssten unter Umständen Menschen in die Mandel-, Apfel- und Kirschbäume klettern und mit einem kleinen Pinsel die Blüten per Hand bestäuben. „Das würde ein Vielfaches der Wirtschaftsleistung kosten, die Insekten bisher nur für ein paar Tropfen Nektar bringen“, ergänzt der UFZ-Forscher Settele.
Um solche horrenden Kosten zu vermeiden, sollten die Bauern vermehrt auf die Hilfe von Wildbienen setzen. Doch die finden in der ausgeräumten Landschaft des 21. Jahrhunderts oft nur noch dann genug Nahrung, wenn Pflanzen auf den Feldern und Plantagen gerade blühen. Spätestens Mitte Juni verhungern die Insekten. Anders verhält es sich, wenn es zwischen eher kleinen Feldern und Plantagen Streifen mit Büschen und Kräutern gibt, die vor und nach den Nutzpflanzen blühen. Dann ist das Nahrungsangebot deutlich besser – und mehr Wildbienen überleben.
„Getreide wie Weizen oder Reis hängt zwar nicht von Bestäubern ab, doch auch diese Kulturen profitieren von den Hecken und Kräuterstreifen“, sagt Settele. Denn die Nutzpflanzen werden von saugenden Insekten wie Blattläusen und Zikaden befallen, die meist mit eher durchwachsenem Erfolg mit Insektiziden bekämpft werden. In den Blüten der Ackerrandstreifen finden die natürlichen Feinde dieser Schädlinge wie zum Beispiel Schlupfwespen reichlich Nahrung. So können sie viele Eier produzieren, die sie in den Blattläusen und Zikaden ablegen. Die Zahl der Schädlinge nimmt ab und damit die Ernteschäden. Diese Zusammenhänge untersuchen Settele und seine Kollegen gerade in einem Projekt namens Legato in Reiskulturen.
Der Tagesspiegel 01.03.2013