Der Tagesspiegel # 21511 vom 12.11.2012
Die tollkühnen Brummer mit ihren schwarz-gelben Streifen
von Katrin Gottschalk
Flügelschlag in Nahaufnahme. Bei den Dreharbeiten flog die Kamera den Bienen im Minihubschrauber hinterher. – Foto: Senator
In China werden Obstbäume jetzt schon von Hand bestäubt: Markus Imhoofs virtuos gefilmte Dokumentation „More than Honey“ erkundet das rätselhafte Massensterben der Bienen.
Weich und flauschig sehen sie aus. Wenn sie sich an einer Wabe zu schaffen machen, rascheln ihre Flügel. Sie tragen kein schwarz-gelb gestreiftes Kostüm, den Klassiker, sondern eher das kleine Schwarze. Ihr Surren verdichtet sich zum feinen Klangteppich, dazu spielen Streicher dramatisch auf. Das Bienenvolk gehört dem Schweizer Bauern Fred Jaggi, der später eine seiner Königinnen mit dem Fingernagel köpfen wird. Sie ist „fremdgegangen“ und hat die Artenreinheit des Volkes gefährdet. Was im ersten Moment wie eine Naturidylle im Tal anmutet, wird in „More Than Honey“ von Markus Imhoof schnell Lügen gestraft.
Vor 30 Jahren wurde der Schweizer Regisseur mit dem Spielfilm „Das Boot ist voll“ für einen Oscar nominiert, darin hatte er die Doppelmoral der Schweiz im Zweiten Weltkrieg angeprangert.
Für seine aktuelle Dokumentation ist Imhoof um die ganze Welt gereist, war in Österreich, Amerika, China, um die Lebenswelt der Bienen aufzuspüren. Oder genauer: Um ihr massenhaftes Sterben zu ergründen, das Wissenschaftlern und Imkern Kopfzerbrechen bereitet.
An einem feuchtkalten Herbsttag sitzt Markus Imhoof im Garten der Imkerei am Pflanzgarten in Berlin. Freundliches Gesicht, sorgfältig gestutzter weißer Bart, blaue Augen hinter einer randlosen Brille. Mit charmant-schweizerischem Akzent spricht er über seine Motive: Sein Großvater war Imker und wollte den Traum der ganzheitlichen Produktion realisieren: „Es ist das verlorene Paradies meiner Kindheit“, sagt der Enkel.
Die Welt, in der der mittlerweile 71-jährige Regisseur lebt, hat nichts Paradiesisches an sich, auch wenn es hier, im Garten der Bioimkerei von Marc-Wilhelm Kohfink, beinahe so aussieht. Da stehen die gelben Kästen aus Holz, in denen die Bienen sich auf den Winterschlaf vorbereiten. Im kleinen Keller nebenan werden die Waben freigekratzt, so dass der Honig aus ihnen herausgeschleudert werden kann. Im nächsten Raum füllt der Imker den Honig in Gläser und klebt sein Etikett drauf. So einfach kann es gehen.
Im Film sieht die Sache komplizierter aus, denn der Mensch braucht die Biene keineswegs nur wegen des Honigs. So karren Imker regelmäßig 200 Millionen Bienen aus ganz Amerika zur Mandelblüte nach Kalifornien. Wegen der Mandeln: In Kalifornien werden fast 90 Prozent dessen produziert, was es im Supermarkt an fertig abgepackten Mandeln gibt. In Scheiben, in Stiften, mit Schale, ohne. Dabei sterben Millionen Bienen. Pollenbestäubung ist eine lukrative Industrie.
Imhoof führt den Zuschauer an Orte, an denen Zivilisation wehtut: Dorthin, wo Bienen reine Nutztiere sind und im Todesfall ersetzt werden. Dorthin, wo es schon gar keine Bienen mehr gibt, etwa in Teilen Chinas. Dort werden Obstbäume mittlerweile von Menschenhand bestäubt.
Das massenhafte, bis heute weitgehend unerklärliche Sterben der Bienen trat vor etwa sechs Jahren das erste Mal auf. Colony collapse disorder heißt das, zu Deutsch: Völkerkollaps. Ganze Bienenkolonien werden dezimiert, die Tiere fallen einfach tot um. Imhoofs Film macht deutlich, wie vielfältig die Gründe für das Massensterben sind: Die Landwirtschaft hat sich vielerorts auf Monokulturen verlegt, die den Boden schwächen und den Einsatz von Pestiziden erzwingen, diese wiederum vergiften die Bienen. Hinzu kommt der Stress durch ständiges Reisen zu verschiedenen Blütezeiten, diverse Krankheiten und Parasiten wie die Varroa-Milbe, die bei ohnehin schon geschwächten Organismen ein leichtes Spiel haben. Manche versuchen, mit traditionellen Methoden dagegen anzukommen, wie der Schweizer Imker Jaggi. Aber eine Lösung hat bis heute keiner gefunden.
Ein detailverliebter Film mit virtuosen Nahaufnahmen. Man fliegt gleichsam im Bienenschwarm mit, dank Minihubschraubern, Highspeedkameras und Makrooptik. Leider erreicht der Film wegen seiner fünfjährigen Produktionszeit die Kinos erst nach Dokumentationen wie „Vanishing of the Bees“ oder „Queen of the Sun“. Auch Dokus wie „We Feed the World“ befassten sich bereits mit den Gefahren der globalen Massenproduktion.
Einen überraschenden Ausblick präsentiert Imhoof am Ende des Films: die Invasion der Killerbienen. Kein Titel für einen neuen Horrorstreifen, sondern Realität in großen Teilen Mittelamerikas. „Mir gefallen die Killerbienen, weil sie so ungehorsam sind“, erzählt der Regisseur sichtlich erfreut. Sie sind das Ergebnis eines Laborunfalls in Brasilien, eine Kreuzung aus europäischen und afrikanischen Bienen. Aggressive Exemplare, die sich den Regeln der Massenimkerei erfolgreich widersetzen und deshalb so schnell nicht aussterben. Katrin Gottschalk
Cinema Paris, Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmtheater am Friedrichshain fsk, Kulturbrauerei, Neues Off, Titania Palast